Chronik der Stadtharmonie Eintracht 

Fundamentale Fortschritte: Die Eintracht unter Jakob Bichsel (1959-1972)

Nach einer schwierigen Phase nach dem Zweiten Weltkrieg war die Eintracht in den 50er-Jahren wieder auf Touren gekommen. Ein frisches, engagiertes Führungsteam mit dem Präsidenten (und heutigen Ehrenpräsidenten) Willi Kern an der Spitze hatte massgeblichen Anteil daran. 1959 wurde Jakob Bichsel zum neuen Dirigenten der Eintracht gewählt. Wie im folgenden Abschnitt dieser Chronik beschrieben, leistete er wertvolle musikalische Aufbauarbeit und legte den Grundstein dafür, dass aus der Eintracht später ein Musikkorps der ersten Stärkeklasse werden konnte.

Mit Jakob Bichsel hatte die Eintracht eine glückliche Dirigentenwahl getroffen. Er war ein gut ausgebildeter, überlegter, ruhiger Musiker, der auf eine saubere Tonbildung grossen Wert legte. Zudem setzte sich Jakob Bichsel stark für die Jungbläserausbildung ein und hatte einen guten Draht zu den jungen Musikanten. Er bot ihnen, jeweils für ein paar Franken pro Stunde, Instrumentalunterricht an und integrierte sie möglichst rasch in die Gesamtbesetzung.

Schon bald nach Bichsels Antritt wurde ein Jungbläserkurs mit 18 Anwärtern aus der Taufe gehoben. Sieben Jahre später, im Jahr 1966, spielten die ersten drei Musikantinnen am Jahreskonzert mit. Die Jungbläserausbildung war ein voller Erfolg und trug wesentlich dazu bei, dass die Zahl der aktiven Eintracht-Mitglieder in den 60er-Jahren stetig zunahm.

Unter Bichsel trat die Eintracht bei Musikwettbewerben in der zweiten Stärkeklasse an. 1965 reiste sie zum St. Gallischen Kantonalmusikfest nach Widnau, dies nach sage und schreibe 31 Jahren Wettbewerbspause! Für einen Goldkranz reichte es nicht, die Eintracht war einer von vielen Vereinen im zweiten Rang. Ob es an der mangelnden Praxis oder an der Jury lag, sei dahingestellt, auf jeden Fall waren die Musikanten mit ihrem Abschliessen nicht zufrieden. Ein "vorzüglich" in der Marschmusikkonkurrenz konnte daran nichts ändern. Präsident Willi Kern kam zum Schluss: "Das Gold liegt nicht auf der Strasse." Weitere Verbesserungen waren nötig.

Der Wettbewerbstüchtigkeit der Eintracht kam zugute, dass auch der musikalische Gehalt der Jahreskonzerte ständig zunahm. Der eine oder andere Musikant warf wegen des gestiegenen Probe- und Übungsaufwands das Handtuch, doch Dirigent Bichsel liess sich nicht vom musikalischen Erfolgspfad abbringen. Spätestens 1971 in Luzern zeigte sich, dass sich die Eintracht auf dem richtigen Weg befand. Bei ihrer ersten Teilnahme an einem Eidgenössischen Musikfest holte sie sich nämlich den Goldlorbeer in der zweiten Stärkeklasse. In allen Sparten, auch in der Marschmusik, schloss sie mit einem "vorzüglich" ab. Die langen Aufbaujahre hatten gefruchtet!

Konzerte und Wettbewerbe zeigten also die gemachten Fortschritte auf, doch das musikalische Fundament wurde in den 60er- und frühen 70er-Jahren auch anderweitig ausgebaut. Die gestiegenen Musikantenzahlen und der Einfluss neuer Musikstile (mit damit verbundenen Besetzungsänderungen) erforderten neue Instrumente. Scheinbar war deren Anschaffung eine dringliche Angelegenheit, denn dafür investierten die Einträchtler 1960 einige Hundert Privatfranken in die deutsche Lotterie! Der Millionengewinn blieb leider aus, doch der Verein fand eine Retterin in der Not. 1964 und 1967 spendete die Stadt Rorschach jeweils 10'000 Franken für neue Instrumente. Mit dieser grosszügigen Gabe konnte die Eintracht damals auch grosszügig einkaufen: Mit der ersten Tranche liessen sich nicht weniger als sechs Bässe, eine Posaune, ein Baritonsaxophon, drei Klarinetten, eine Flöte und fünfzehn Notenständer finanzieren! Mit Hilfe der Stadt und dank unzähliger "Bettelbriefe" und Finanzaktionen konnte sich der Verein über die Jahre hinweg ein modernes Instrumentarium anschaffen.

Auch die allgemeine Subvention der Stadt wurde in dieser Zeit kräftig erhöht. Weil sich gleichzeitig aber die Auslagen des Vereins gesteigert hatten, war ein Ausbau des finanziellen Fundamentes nötig. Anfangs der 60er-Jahre brachten die von der Eintracht organisierten Oktoberfeste ansehnliche Einnahmen. Auf der Brauereiwiese stellten die Musikanten drei Mal ein riesiges Festzelt auf und schenkten das Bier gleich massweise aus. Beim dritten Mal fuhren sie leider ein Defizit ein, weil die teuren Masskrüge massenweise gestohlen wurden und der ganze Ochs am Spiess am unteren Ende der Geniessbarkeit anzusiedeln war. In der Folge verzichtete der Verein auf solch gigantische Anlässe und wirtete stattdessen erfolgreich an kleineren Parkfesten. Auch die Tombola während den Abendunterhaltungen brachte wertvolle Erträge. Am wichtigsten waren aber trotz allem die Beiträge der Passivmitglieder. Die in den 50er-Jahren begonnene Werbeaktion hatte mittlerweile Früchte getragen. Schon 1963 konnte der siebenhundertste "Blechmusikant" in den Verein aufgenommen werden!

Bei den Probe- und Konzertlokalitäten ergaben sich ebenfalls wichtige Veränderungen. Jahrzehntelang hatte die Eintracht in mehr oder weniger geeigneten Restaurantsälen geprobt. 1961 konnte sie endlich in ein spezielles Probelokal einziehen. Zusammen mit den Kollegen von der Stadtmusik leisteten die Einträchtler mehrere Hundert Stunden Fronarbeit, dann war der ehemalige Theorieraum des Luftschutzes umgebaut und bereit für den Probebetrieb. Ganz anders verhielt sich die Sache beim langjährigen Konzertlokal der Eintracht, dem Hotel Krone. 1965 fiel es dem Abbruchfieber zum Opfer, welches während der Hochkonjunktur grassierte. Rorschach verlor mit der Krone seinen letzten grossen Saal mit Bühne. Die Eintracht musste mit dem kleineren evangelischen Kirchgemeindesaal vorlieb nehmen.

Ein letztes Vereinsfundament, das während der Amtszeit Jakob Bichsels gestärkt wurde, war die lokale Bekanntheit der Eintracht. 1965 erhielt sie ihren jetzigen Namen "Stadtharmonie Eintracht Rorschach". In der Presse und in der Bevölkerung stiess die Umbenennung auf ein grosses Echo, weil sie gleichzeitig mit der Weihe einer neuen Vereinsfahne erfolgte. Paten des edlen Stoffes waren die grosszügigen Eintrachtgönner Agi Treier und Rudolf Jucker.

Auch sonst nahm die Bekanntheit des Vereins rasch zu. Ein wichtiger Imageträger waren die Güllenfilter, eine kompakte Kleinformation der Eintracht, welche jeweils im Frühjahr ihr Unwesen trieb. An der Rorschacher Cliquenfasnacht und bei anderen Anlässen spornte der wirblige Willi Graf, ein begnadeter Unterhalter, die Güllenfilter zu verbalen und musikalischen Höchstleistungen an. Über 25 Jahre lang nahmen sie die Rorschacher Stadtprominenz auf die Schippe und erlangten einen hohen Bekanntheitsgrad. Die Güllenfilter traten zu immer zahlreicheren Gelegenheiten stellvertretend für den Gesamtverein auf, was der Eintracht natürlich sehr zugute kam. Das Gleiche galt für eine weitere Kleinformation der Stadtharmonie, die blauweiss gestreiften Mariner, welche um 1970 herum ihren Urauftritt hatten.

Auch das von Präsident Willi Kern persönlich initiierte Drumkorps wusste die Massen zu begeistern. Von Eugen Giannini, dem "ungekrönten König der Schweizer Schlagwerker", fachmännisch instruiert, kam es 1969 beim Jahreskonzert zu seinem ersten Auftritt. Nur drei Monate später, beim Muttertagskonzert im Seepark, lief die Tambourengruppe zur Parade auf. Der Anlass wurde in der Presse gefeiert, und das Drumkorps war in der Folge nicht mehr aus den Marschmusikauftritten der Eintracht wegzudenken.

Attraktive Jahreskonzerte, Wettbewerbserfolge, Güllenfilter, Mariner und Drumkorps förderten alle die Bekanntheit der Stadtharmonie. Nicht zu Unrecht sprach Willi Kern 1971 von einer "Welle der Begeisterung", von einer "noch nie erlebten Anerkennung".

In den 60er-Jahren unternahm die Stadtharmonie auch mehrere Vereinsreisen. Dabei ging es in alle Himmelsrichtungen: Salzburg, Sigmaringen (Deutschland), Zermatt und Toulon waren die Ziele. Einen denkwürdigen Empfang gab es für die Musikanten 1966 in Zermatt. Am Bahnhof wurden sie von der lokalen Musikgesellschaft und von einer "Unmenge Volkes" mit Musik, Beifall und Weisswein empfangen. Das ganze Dorf war auf den Beinen, als die Eintracht mit den Güllenfiltern durch die Strassen zog und abends zum Konzert aufspielte. "Goldene Tage" seien es gewesen, heisst es in der Jahreschronik. Pech hatte einzig der Fähnrich, der bei einer riskanten Zugtürschliessaktion einen Finger im Wallis lassen musste.

Auch die Reise 1969 nach La Seyne-sur-Mer, Toulon und Marseille ist den Musikveteranen in lebhafter Erinnerung geblieben. Im nicht ganz regendichten Spezialwaggon ging es nach Südfrankreich, wo die Einträchtler beim Quatorze Juillet, dem französischen Nationalfeiertag, mitwirken sollten. Dies taten sie in bester Manier, auch wenn die mediterrane Sommersonne glutheiss auf ihre schwarzen Uniformen niederbrannte. Natürlich ist anzunehmen, dass ein kühles Bad im Mittelmeer, respektive ein kühles Bier in der Brasserie, die Temperaturen wieder auf ein vernünftiges Niveau senkten.

"Glorreiche Eintracht-Zeiten" hätten geherrscht in den 60er- und anfangs der 70er-Jahre. Wenn man diesen Abschnitt aufmerksam gelesen hat, kommt man nicht umhin, sich dieser Meinung anzuschliessen.

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